Viele Menschen, die psychische Schwierigkeiten erleben, sind unsicher, ob sie eine Therapie brauchen und einen Psychotherapeuten kontaktieren sollen. Ich möchte in diesem Beitrag einige Anhaltspunkte geben, die Ihnen hoffentlich die Entscheidung erleichtern, ob Sie einen Therapeuten aufsuchen sollten oder nicht.
Typische Fragen sind:
- Sind meine Beschwerden überhaupt schlimm genug? Stelle ich mich nicht einfach nur an?
- Nehme ich nicht jemandem, dem es schlechter geht, den Platz weg?
- Sollte ich meine Probleme nicht alleine in den Griff bekommen?
Üblicherweise ist es tatsächlich so gut wie nie der Fall, dass Menschen eine Psychotherapie aufsuchen und man sie wieder wegschickt, weil ihre Beschwerden nicht der Rede wert sind. Umgekehrt ist es dafür umso öfter der Fall, dass Menschen erst nach einer sehr langen Leidenszeit zu einem Therapeuten gehen. Das ist nicht nur deswegen unglücklich, weil es Ihnen dadurch länger schlecht geht, sondern auch, weil die Therapie umso besser wirkt, je eher man sie beginnt.
Und nein, Sie nehmen niemandem den Platz weg, der ihn dringender braucht. Natürlich ist die ambulante psychotherapeutische Versorgungslage in Deutschland, also die Zahl der niedergelassenen Psychotherapeuten – gelinde gesagt – ausbaufähig. Für Menschen, denen es wirklich sehr schlecht geht, gibt es aber auch immer noch weitere Anlaufstellen, die sofort helfen können, wie beispielsweise Fachkliniken oder Tageskliniken. Sie helfen auch niemandem, indem Sie sich aus vermeintlicher Rücksicht zurückhalten und es Ihnen dann irgendwann so schlecht geht, dass Sie eine aufwendige Intensivbehandlung benötigen.
Sie müssen auch nicht alle Ihre Probleme alleine in den Griff bekommen. Natürlich ist es verständlich, dass Sie als erwachsener, selbständiger Mensch erst einmal versuchen, selbst klarzukommen. Wenn Sie aber merken, dass es trotz aller Versuche und bester Absichten nicht besser wird oder sich sogar verschlimmert, ist es absolut kein Zeichen von Schwäche, wenn Sie sich Unterstützung suchen. Es ist ein Gerücht, dass man immer alles alleine schaffen kann, ohne jemals die Unterstützung eines anderen Menschen zu beanspruchen. Als Menschen sind wir soziale Wesen und daher sowieso von Natur aus aufeinander angewiesen. Die gute Nachricht ist, dass es letztlich ohnehin auf Ihr eigenes Tun ankommt . Ein Therapeut kann Ihnen das Lösen Ihrer Probleme nicht abnehmen. Er kann Ihnen nur die nötigen Informationen und Werkzeuge an die Hand geben.
Fünf Fragen, die Ihnen helfen können zu klären, ob Sie eine Therapie brauchen:
- Halten Ihre Beschwerden schon länger als ein Jahr an?
- Haben Sie den Eindruck, nicht alleine mit Ihren Beschwerden fertig zu werden?
- Haben Sie deutliche Nachteile in Ihrem Leben aufgrund Ihrer Beschwerden, z.B. fühlen Sie sich einsam oder haben Sie berufliche Schwierigkeiten? Würde Ihr Leben ohne Ihre Beschwerden deutlich anders aussehen?
- Merken Sie, dass Sie in Folge Ihrer Beschwerden immer depressiver, niedergeschlagener oder hoffnungsloser werden?
- Greifen Sie, um Ihre Beschwerden zu lindern, immer wieder zu Alkohol, Drogen oder verschreibungspflichtigen Medikamenten?
Wenn Sie nur eine dieser Fragen mit Ja beantworten können, dann ist es an der Zeit, einen Psychotherapeuten zu kontaktieren. Wie man das macht, erläutere ich in einem weiteren Blogpost.
Zusammenfassend kann man sagen:
Wenn Sie sich fragen, ob Sie einen Psychotherapeuten zu Rate ziehen sollen oder nicht – tun Sie es! Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie dort an der richtigen Adresse sind. Die Therapeutin oder der Therapeut wird Sie auch nicht auslachen und mit Schimpf und Schande vom Hof jagen. Es gehört zu seinem Job, Menschen mit Problemen zuzuhören und sie ernstzunehmen. (Versuchen Sie es bitte nochmal bei jemand anderem, falls Sie sich tatsächlich nicht ernstgenommen fühlen sollten. Leider sind auch Psychotherapeuten nur Menschen und machen auch Fehler.) Wenn Sie tatsächlich keine Therapie brauchen sollten, wird er Ihnen eine andere Möglichkeit empfehlen, wo Sie die für Sie passende Unterstützung bekommen können.
Wenn Sie sich unsicher sind, ob Ihre Beschwerden wirklich schwer genug für eine Psychotherapie sind, wenden Sie sich zunächst ruhig erstmal an eine Beratungsstelle. Oder schreiben Sie mir.
Ich hoffe, das war für Sie hilfreich. Schreiben Sie mir gerne Ihre Anmerkungen und Fragen!